Die hypnosystemische Charta

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Thomas Stahl
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Die hypnosystemische Charta

Beitrag von Thomas Stahl » Donnerstag 8. März 2018, 16:54

Zentrales Element der hypnosystemischen Charta ist die gelebte Haltung, mit der Kolleginnen und Kollegen ihre therapeutische und/oder beratende Kompetenz anbieten. Diese Haltung zeichnet sich aus durch „Augenhöhe“ und durch „Herzhöhe“. Beides spiegelt sich wider in der Art, wie die professionellen Angebote gemacht werden.

Vor dem Hintergrund einer konstruktivistischen erkenntnistheoretischen Auffassung gehen wir davon aus, dass weder ein Individuum noch eine Gruppe im Besitz einer allein- und allgemeingültigen Wahrheit sind oder sein können. Jedes therapeutische oder inhaltlich beratende Angebot stellt lediglich eine Perspektive von quasi unendlich vielen möglichen Blickwinkeln auf eine Thematik dar. Dementsprechend verstehen wir sowohl Therapie als auch Beratung als einen dialogischen und „herrschaftsfreien“ Diskurs, bei dem zwei gleichberechtigte Partner eine zielbezogene Arbeits- und Kooperationsbeziehung eingehen.

In Einzelfällen kann es aufgrund der Kontextbedingungen zu einem Macht- oder Hierarchiegefälle kommen, zum Beispiel wenn aufgrund einer verordneten Therapie ein Zwangskontext entsteht. Dieses sollte im Rahmen eines „Metalogs“ transparent kommuniziert und geklärt werden, damit auf der Ebene der menschlichen Beziehungsgestaltung die Augenhöhe gewahrt bleibt oder wiederhergestellt werden kann.

Die gelebte Haltung wird auch deutlich im wertschätzenden und „forschenden“ Umgang mit den jeweiligen Wirklichkeitskonstruktionen des Gegenübers. Dieser Umgang ist geprägt von „Vertrauensvorschuss“ und der Zubilligung „guter Gründe“ für das Verhalten des Gegenübers. Aufgrund der Gleichberechtigung der Beteiligten sollten „destruktive“ Verhaltensweisen wie zum Beispiel Abwertungen oder verbale Angriffe unterbleiben oder unterbunden werden. Hier sind – trotz Zubilligung „guter Gründe“ – klare Grenzen zu ziehen.

Kennzeichen der gelebten Haltung ist auch die Grundannahme, dass menschliches Erleben im Hier und Jetzt das Ergebnis ständiger, sich verändernder bewusster oder unbewusster Aufmerksamkeitsfokussierungsprozesse ist. Das Erleben ist veränderbar durch gezielte verbale und/oder nonverbale Fokussierungshilfen – entweder durch die Person selbst oder als von außen angebotene „Einladungen“ des Therapeuten oder Beraters.

Auf der Grundlage hypnosystemischer Netzwerkmodelle sollten hier Wirklichkeitskonstruktionen angeboten und über fortlaufende Feedbackschleifen auf gewünschte unterschiedsbildende Auswirkungen hin geprüft werden. Das Gegenüber ist dabei die prüfende Instanz, die allein darüber entscheidet, welche Angebote als hilfreich und welche als weniger hilfreich erlebt werden. Dadurch bleibt das Gegenüber der Experte für die eigenen wirksamen Erlebensprozesse und muss sich keiner äußeren „allwissenden“ Instanz unterordnen. Der Therapeut oder Berater kann im Rahmen dieses Prozesses seine Annahmen, Hypothesen und Interventionen transparent als „zu prüfende Angebote“ einbringen.

Diese Vorgehensweise und Haltung speist sich, neben den konstruktivistischen Annahmen, auch aus den systemtheoretischen Überlegungen der Autopoiese- und der Synergetik-Konzepte, die davon ausgehen, dass autonome Systeme nicht linear und vorhersagbar direktiv beeinflussbar sind. Somit können weder Therapeut noch Berater vorhersagen, ob und wie eine Intervention oder ein Fokussierungsangebot wirken werden. Das führt „auf natürliche Weise“ zu einer eher demütigen Haltung gegenüber von außen angeregten Veränderungsimpulsen.

Neben der gelebten Haltung sollen auf der Ebene der konkreten therapeutischen und/oder beratenden Vorgehensweise grundlegende hypnosystemische Methoden ihre Anwendung finden.

Hierzu zählen beispielsweise:
  • die systematische Nutzung und Utilisation von natürlichen Trance-Phänomenen,
  • verbunden mit dem Aufbau einer geschützten, steuernden inneren Beobachterinstanz,
  • die Entwicklung gelingender Kooperationsprozesse zwischen bewussten und unbewusst ablaufenden Musterebenen,
  • verbunden mit einem wertschätzendem Pacing für die erlebte Wirklichkeit des Gegenübers,
  • das Anbieten hypnosystemischer Netzwerkmodelle als Basis unterschiedsbildender Interventionen,
  • das „Werben“ für die Sichtweise, dass Problemmuster als Lösungsversuche innerer Dilemmata mit Preis verstanden werden können.
Hinzu kommt die Nutzung von „Innere-Seiten-“ oder „Anteile-Modellen“, die aus hypnosystemischer Sicht eine wirkungsvolle Möglichkeit bieten, komplexe innere und äußere Beziehungsdynamiken klarer herauszuarbeiten und optimale Veränderungsprozesse anzustoßen. Dabei sollte der Prozess sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makro-Ebene durch Feedbackschleifen und Prozessreflexionen wiederholt abgesichert werden.

Aus systemischer Sicht ist es zudem wichtig, mit dem Gegenüber ein Auswirkungs- und Kontextbewusstsein zu entwickeln, indem mögliche innere Veränderungen auf ihre Auswirkungen in relevanten Kontexten hin überprüft werden. Erfahrungsgemäß kann es im Verlauf von Interventionen zu Loyalitätskonflikten kommen, deren Ambivalenz dann gewürdigt und neu balanciert werden sollte.
Thomas Stahl · Koordinator
hypnosystemisches Netzwerk · sysTelios Transfer
c/o sysTelios Gesundheitszentrum Siedelsbrunn GmbH & Co. KG
Am Tannenberg 17, 69483 Wald-Michelbach, Deutschland
t.stahl@hypnosystemisches-netzwerk.de

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